Posted by on 5. April 2018

In Teil 2 möchte ich auf die muskulären Probleme eingehen, die aus der Hufstellung: lange Zehe, untergeschobene Trachte entstehen.

Im vorherigen Teil habe ich mich auf die Probleme und Schädigungen der Gelenk- und Bandstrukturen im Endbereich der Gliedmaße bezogen, die durch eine zu lange Zehe und untergeschobene Trachten entstehen können.

Ich versuche das hier so einfach wie möglich zu erklären, deshalb bitte ich um Nachsicht, wenn ich ein paar Tatsachen auslasse, die Euch vielleicht noch so aufgefallen sind. Sicherlich ist dieser Artikel hier nicht vollständig und vielleicht gibt es ein paar Beispiele, die etwas anders ablaufen.

 

Wozu dienen die Beugesehnen?

Erst einmal natürlich dazu, Karpalgelenk, Fesselgelenk, Krongelenk (oberflächlicher Zehenbeuger) und Hufgelenk (tiefer Zehenbeuger) zu Beugen.

Eine weitere, sehr wichtige Aufgabe der Beugesehnen ist es, den Schwung der Vorwärtsbewegung und das Gewicht des Pferdekörpers, das mit 56% auf der Vordergliedmaße ruht, aufzufangen. Deshalb zählen die Beugesehnen zu den sogenannten energy storing tendons (energiespeichernde Sehnen). Sie können hohe Lasten in relativ kurz aufeinander folgenden Wiederholungen ohne Schaden zu nehmen abfangen, wenn sie sich danach wieder vollständig entspannen und ausreichend mit Blut versorgt sind.

Häufig erzählen Besitzer, ihr Pferd sei in ein Loch getreten /habe sich erschreckt/ sei in einer engen Wendung weggerutscht oder ähnliches und habe sich das Unterstützungsband oder die tiefe / oberflächliche Beugesehne verletzt.

Da stellt sich mir eine Frage: Pferde in freier Wildbahn, die vor einem Raubtier über unebenes Gelände fliehen, wie oft treten die wohl unvorhergesehen in ein Loch oder machen rasante enge Wendungen ohne dass sie sich verletzen? Ist es also die Wendung oder das Loch das die Sehnenverletzung verursacht? Bei einem alten Pferd eventuell ja, ansonsten mit Sicherheit nicht.

Das heißt es muss an den Beugesehnen etwas passieren, dass die Dehnbarkeit der Sehnen und der Unterstützungsbänder (proximales Unterstützungsband oberhalb des Karpus gehört zur oberflächlichen Beugesehne, distales Unterstützungsband direkt unterhalb des Karpus gehört zur tiefen Beugesehne) einschränkt.

Und hier kommen wir dann zur dritten Aufgabe der Beugesehnen. Sie gehören genau wie einige andere Sehnen und Muskeln der Vordergliedmaße zum passiven Stehapparat der Vordergliedmaße.

 

Wie funktioniert dieser passive Stehapparat?

Darüber kann man sicher in seinen Feinheiten ein ganzes Kapitel in einem Lehrbuch schreiben (wenn ihr wollt könnt ihr alles in einem solchen nachlesen) aber einfach ausgedrückt gibt es am Vorderbein einen Scheitelzug, der an der Vorderseite des Beines die Haltefunktion übernimmt (fast alles Teile der Streckmuskulatur) und einen Kehlzug auf der Rückseite des Beines (fast alles Beugemuskeln). Diese Muskelzüge dienen dazu dem Pferd ein langes stehen ohne Ermüdung zu ermöglichen.
Deshalb haben diese Muskeln zu großen Anteilen besondere Fasern (Typ 1) die sehr ausdauernd sind und kaum ermüden. Somit können sie einer permanenten Haltefunktion nachkommen. Ansonsten sind Muskeln und ihre Gesundheit davon abhängig, dass sie sich fortlaufend kontrahieren und entspannen. Nur so werden sie ausreichend mit Blut versorgt und Stoffwechselprodukte abtransportiert.

Durch die Veränderte Hufbeinwinkelung (lange Zehe, untergeschobene Trachten > vermehrte Streckung, Hufbein: Bodenwinkel <6°, evtl. negativer Hufbeinwinkel) entsteht ein dauerhafter vermehrter Zug auf die Beugesehnen (meistens nicht auf die tiefe Beugesehne, denn das Hufgelenk befindet sich Stehen unter dem Schwerpunkt noch in Beugung). Daher auch die immer noch mögliche Hyperextension, wie ihr sie auf dem Bild seht. Daher auch die Häufigkeitsverteilung der Verletzung mit 87 % oberflächliche Beugesehne und nur 13 % tiefe Beugesehne.

Gelenke wie Hufgelenke, Krongelenke, Fesselgelenke und Karpalgelenke befinden sich damit permanent in einer Tendenz zur Überstreckung. Und auch Gelenk haben Rezeptoren, die die Spannung der Muskulatur regulieren. Damit sie sich selbst gegen Verletzungen schützen können.

break in axis, coffin joint, hyperextension

Das Nervensystem reagiert auf diese Überstreckung der Sehne, vor allem aber auf die der Gelenke, einmal mit einer Senkung des Tonus der Streckmuskulatur, weshalb die Beuger des passiven Stehapparates stärker wirken als ihre Gegenspieler die Strecker. Zusätzlich und vor allem bewirkt die passive Dehnung eine Verstärkung des Tonus in der Beugemuskulatur, verbunden mit einer Minderdurchblutung des Muskels, die seine Dehnbarkeit weiter einschränkt.

Daraus könnt ihr ableiten, dass der Muskel oberflächliche Beugesehne, der ja durch die Dehnung des Fesselgelenks aufgrund der Huffehlstellung stärker betroffen ist als die tiefe Beugesehne

1. verkürzt ist
Zug im Bereich der Beugesehnen wirkt sich stärker auf die Sehnen aus, da der Muskel weniger dehnbar ist

2. schlecht durchblutet wird
Muskelfaserrisse und andere Schäden sind häufiger

Und nicht nur der Muskel der oberflächlichen Beugesehne wird schlechter mit Blut versorgt. Auch die Sehne selbst wird in ihrer Durchblutung gestört.

Ein Beuger des Karpalgelenks der in der Kette des passiven Stehapparates hier besonders auffällt, ist der M. extensor carpi ulnaris. Der Muskel heißt zwar Strecker, ist aber beim Pferd in Wahrheit ein Beuger und reicht vom Ellenbogen bis an das Erbsbein. Er ist zum größten Teil für die auf dem Bild sichtbare Beugung in der Phase des Auffußens verantwortlich.

Karpus in Streckung, Vergleich

Der Extensor carpi radialis (Beuger) auf der rechten Hand lässt sich nicht so stark dehnen wie der der linken
Hand, erkennbar an dem kleinen Muskelbauch über der gelben Linie. Der Muskel der linken Hand ist stärker gedehnt
(fast gerade Linie auf der  Hinterseite des Unterarmes). Außerdem sieht man, dass der Karpalgelenksstrecker
(markiert durch rote Linie) auf der rechten Hand deutlich stärker kontrahieren muss als der der linken Seite
(Muskelbauch tritt deutlicher hervor).

Sein erhöhter Tonus zieht auch im Moment der Karpalgelenksstreckung das Erbsbein in die Beugerichtung. Der Druck des Erbsbeins und der Beugemanschette um das Karpalgelenk schränkt die Blutversorgung der Beugesehnen selbst ein und verhindert so eine Regeneration der Beugesehnen auf kurze Sicht in der Entspannungsphase. Auf lange Sicht verändert sich sogar die Struktur der Sehne und ihr molekularer Aufbau, wodurch sie noch leichter Mikrozerreißungen und schlimmere Verletzungen erfahren kann.

Außerdem führt die vermehrte Spannung in der oberflächlichen Beugesehne zu einer minimalen Beugung im Krongelenk, somit zu einer Instabilität des Krongelenks.

Folgen wir dem Problem weiter aufwärts in die Vordergliedmaße, finden wir häufig, dass Pferde mit langen Zehen und untergeschobenen Trachten auch Probleme damit haben, das Schultergelenk zu strecken. Das Ausgreifen nach vorne inbesondere der nicht betroffenen Gliedmaße ist flach, die Bewegung stumpf und eingeschränkt. Das erklärt sich daher, dass auch der Biceps (ebenfalls ein Teil des passiven Stehapparates) dazu benötigt wird, die Überstreckung des Karpalgelenks zu verhindern. Da der Biceps aber gleichzeitig die Schulter beugt, führt eine vermehrte Spannung im Bizeps zu einer Beugung in der Schulter.

Schulter beidseits Vergleich

Die linke Schulter ist mit 102° deutlich weiter gestreckt als die rechte Schulter, die mit unter 90° in einer Beugehaltung bleibt. Im roten Feld kann man den Bereich der Bizepsmuskulatur und den Musculus infra- und supraspinatus (alles Beuger des Schultergelenks in einer Winkelung unter 90° und Teile des passiven Halteapparates) sehen. An der rechten Schulter kann man deutlich erkennen, dass sich dieser Bereich nicht lockert – wie es in der Extension der Schulter nötig wäre, sondern die Muskeln unter Spannung in die Dehnung gehen müssen. Es wirkt als hätte das Pferd an dieser Stelle weniger Muskulatur und die Knochenstrukturen treten deutlicher hervor. Im gelben Feld kann man den Hypertonus des M. pectoralis transversus auf der rechten Seite erkennen. Das rechte Vorderbein wird – zum Ausgleich der funktionellen Verkürzung – unter den Körper herangezogen.

Wenn man sich die gesamte Vordergliedmaße dann einmal so anschaut ( Beugung Schulter, Beugung Karpus, Überstreckung Zehe) ist die betroffene Seite dadurch funktional kürzer als die andere Vorhand.

Dies führt zu einer Rotation im Bereich 6., 7. Halswirbel, 1. Brustwirbel und 1. Rippe (denn die Schultergliedmaße wird zum Körper hin gezogen um den Längenunterschied auszugleichen) und bei plötzlichen unkontrollierten Bewegungen zu einer Blockade der betroffenen Wirbel. Das heißt, das Pferd ist nicht mehr in der Lage, diese Wirbel und damit den Hals in die entgegengesetzte Richtung zu biegen.
Außerdem ergeben sich aus der ausgleichenden, bodenengen Stellung nun Probleme mit dem latero-medialen Hufgleichgewicht und obwohl Abweichungen des latero-medialen Hufgleichgewichtes häufig als eigentständiges Problem angesehen werden, kann die Problematik zu lange Zehe und untergeschobene Trachte häufig als Auslöser gefunden werden.

Damit hört die ganze Geschichte aber nicht auf. Natürlich führen Einschränkungen in der Halswirbelsäule zu Ausgleichsbewegungen über die gesamte Wirbelsäule vom Kopfgelenk bis ins Iliosakralgelenk. Blockaden im Kopfgelenk führen zu Problemen im Kiefergelenk und den Zähnen und Blockaden im Iliosakralgelenk können zu Problemen im Knie und Sprunggelenk führen.

Ihr seht also, dass

1. eine Lahmheit hinten auch von vorne kommen kann
es macht also keinen Sinn, ein Pferd nur da zu behandeln, wo ich eine auffällige Lahmheit sehe

2. sehr viele Probleme im Bereich der Wirbelsäule und des Iliosakralgelenks aus den Beinen kommen

3. Zahnprobleme häufig aus dem Hals / Brustbereich stammen

3. es sich auszahlt, einem guten Hufschmied lieber etwas mehr zu bezahlen, damit er sich für euch und euer Pferd Zeit nimmt
ein korrekter Beschlag mit Ermittlung und Berechnung des Abrollpunktes, Rocken und Anschmieden von Eisen, Gangbeurteilung
usw. dauert einfach mindestens 2 Stunden und die sollten einem fähigen Schmied auch bezahlt werden, gute Arbeit kann nicht billig sein, nur preiswert