Leider hat die Lobby der Pharmaindustrie unseren Staat und unsere Gesetzgebung fest im Griff. Deshalb haben wir in der Phytotherapie große Schwierigkeiten, Pflanzen als Arznei oder Arzneizubereitungen einzusetzen. Oder sie gar Arzneimittel zu nennen.
Ich darf auch keine Heilung von bestimmten Erkrankungen versprechen, obwohl alle Pflanzen, die ich einsetze, für bestimmte Erkrankungen eine nachgewiesene Wirkung haben. Sie stehen deswegen auch im deutschen Arzneimittelbuch.
Pflanzen in der Medizin einzusetzen entbindet niemanden davon, eine ordentliche, wissenschaftlich und (tier-)medizinische einwandfreie Diagnose zu stellen. Und dann zu entscheiden, ob die Phytotherapie sinnvoll ist, oder der Wirkungseintritt zu lange dauert.
Eine akute Lungenentzündung allein phytotherapeutisch ohne Antibiotikum zu behandeln ist genauso verantwortungslos, wie eine Dünndarmvolvulus nicht chirurgisch zu versorgen.
Einen schwachen Virusinfekt der Atemwege oder Probleme mit Kotwasser sind dagegen klassische Einsatzgebiete für die Phytotherapie.
Ich betone das deshalb, weil ich mich gegen die Begriffe Kräuterhexe und Wunderheiler wehren möchte und um zu betonen, dass auch Heilpflanzen (die wir nicht so nennen dürfen) in die Hand von Experten gehören.
Oder vielleicht wahrheitsgetreuer: Ein Wirkstoff, eine Wirkung und unzählige Nebenwirkungen?
Die Phytotherapie hat einen gewaltigen Vorteil gegenüber chemisch hergestellten Medikamenten. Pflanzen bestehen eben nicht aus einem Wirkstoff, wie das Arzneimittel tun. Sie bestehen aus vielen Wirkstoffen, die sich sowohl gegenseitig fördern als auch regulieren und fein aufeinander abgestimmt sind.
Das macht sie zu idealen Arzneien, nicht nur bei multimorbiden Tieren. Besonders im Alter leiden Tiere nämlich oft an mehreren Erkrankungen gleichzeitig. Das Herz lässt nach, die Niere auch, der Kopf will auch nicht mehr so und das mit dem Sehen und Hören war auch schon einmal besser.
Da macht es doch Sinn, sich nicht für jedes Zipperlein ein synthetisches Arzniemittel mit der entsprechenden Litanei an Nebenwirkungen einzuwerfen. Phytotherapeutika und Pflanzen lassen sich fast! alle kombinieren und bleiben dabei frei von schädlichen Nebenwirkungen. Das ist es, was Pflanzen perfekt können.
Auch wenn nicht jeder noch so kleine Wirkbestandteil analysiert werden kann. Sehr zum Leidwesen der Pharmaindustrie, die bisher aus der Wirkungsweise der Pflanzen nicht ganz schlau wird. Vielfach ist die Industrie auch nicht in der Lage, den Wirkmechanismus zu erkennen. Die Pflanze wirkt, aber man weiß nicht warum. Daraus folgt: kein Patent. Und kein Patent, kein Gewinn. Deshalb kein Medikament. Die meisten Pflanzen sind für die Pharmaindustrie deshalb uninteressant, obwohl sie auch bei schweren Erkrankungen Linderung schaffen.
Nur ein Beispiel. Oft hört man von Pharmazeuten und Wissenschaftlern: Ja, ein Wirkstoff aus einer Pflanze hätte eine Wirkung gegen eine bestimmte Krankheit. Aber dann müsste man so und so viele Liter Tee am Tag davon trinken.
Das ist falsch.
Wenn dieser Tee nur aus diesem einen Wirkstoff bestehen würde, dann wäre das richtig. Aber die Natur ist schlauer als die meisten Wissenschaftler. Sie vollbringt mit der Kombination ihrer Wirkstoffe, was Chemie und Wissenschaft niemals können wird: sie erschafft in kleinen Dosen wirksame Heilpflanzen. Diese wirken trotz geringer einzelner Wirkstoffgehalte in der Kombination durchaus hervorragend.
Und die geringe Wirkstoffkonzentration hat noch einen weiteren Vorteil. Die meisten pflanzlichen Heilmittel haben kaum (ich betone hier aber ausdrücklich die Worte meisten und kaum) Nebenwirkungen.
Auch Pflanzen haben manchmal durchschlagende Wirkungen und gehören in die Hände eines erfahrenen Therapeuten oder nicht mehr in die Therapie.
Fingerhut als herzwirksames Glykosid zum Beispiel, hat eine nur sehr geringe therapeutische Breite und kann schnell toxisch und sogar tödlich wirken. In der Medizin und auch der Tiermedizin wird er deshalb schon lange nicht mehr eingesetzt. Hier haben synthetische Medikamente mit nur einem standardisierten Wirkstoff klar die Nase vorne.
Bach-Pestwurz. Wirkung: spasmolytisch, analgetisch. Wird eingesetzt bei Magen-Darmkrämpfen und Krämpfen des Harntraktes, sowie zur Bronchiospasmolyse bei Asthma und bei Migräne.
Die Pflanze muss wegen ihrer Nebenwirkungen (mutagen, krebserregend, lebertoxisch) jedoch als Extrakt eingesetzt werden!
Im Gegensatz zu den Schmerzmitteln.
Acetylsalicylsäure, eines unserer bekanntesten Schmerzmittel reizt bei allen Haussäugetieren extrem den Magen, schädigt die Schleimhaut und das kardiovaskulare System mit vorkommenden Todesfällen. Deshalb brauchen wir ein Mittel für den Schmerz, ein Mittel für den Magen und was sonst noch so kommt.
Nicht so bei der Weidenrinde. Sie enthält Salicin, das im Magen-Darm-Trakt unwirksam ist und erst in der Leber in seine eigentlich wirksamen Bestandteile zerlegt wird. Es gelangt dann über das Blutgefäßsystem in die entzündeten Gewebe (Gelenke, Muskeln, …). Die therapeutische Breite von Weidenrinde ist wesentlich breiter als die von Acetylsalicylsäure. Bei geeigneter Dosierung sind fast keine Nebenwirkungen zu erwarten. Allerdings hilft Weidenrinde nicht bei akuten Schmerzen, ihre Wirsamkeit tritt erst nach 4-6 Wochen ein.
Wie gesagt, der Wirkungseintritt erfolgt bei vielen Phytotherapeutika erst nach einer gewissen Zeit. Deshalb macht es bei bestimmten Erkrankungen Sinn, eventuell ein Antibiotikum (akute Lungenentzündung, Bauchoperationen) einzusetzen. Für fast alles andere stellt die Phytotherapie eine hervorragende Alternative dar.
Insbesondere bei chronischen Erkrankungen und chronischen Schmerzen.
Professor Ungemach ist der Verfasser des Lehrbuches der Pharmakologie und Toxikologie für die Veterinärmedizin, das Buch aus dem wir heute noch lernen. Er schreibt über nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAIDs) wie Metacam, Phenylbutazon usw.:
“… ein reeller Therapieerfolg ist nur bei akuten entzündlichen Erkrankungen zu erwarten. Chronischen Gelenkerkrankungen stellen allgemein eine relative Kontraindikation dar…”
Und trotzdem schütten wir unsere alten, arthrotischen und leber- und nierenschwachen Pferde und Hunde zu mit NSAIDs. Wir riskieren ohne nachzudenken deren Magen, Leber und Niere, anstatt uns in der Phytotherapie umzusehen.
Und Pflanzen helfen nicht nur Heilen, sie können auch vorbeugend gegen häufige Erkrankungen an Patienten verfüttert werden. Prophylaxe also, dürfen wir aber auch nicht so nennen. Zustandserhalter und -verbesserer. Sie können sogar Bakterien wieder empfindlich gegen Antibiotika machen, gegen die sie vorher resistent waren. Und sie wirken auch gegen Viren. Fast nichts hilft gegen Viren, Pflanzen schon. Ein Segen im Kampf gegen MRE (Multiresistente Erreger).
In vielen Fällen gibt es pflanzliche Fertigarzneimittel, die sich relativ gut nutzen lassen. Aber nicht immer. Und dann ist da immer die große Frage der individuellen Konstitution eines Patienten. Vielleicht ein Beispiel: Ich möchte die Durchblutung meines Patienten fördern, weil er ein Problem mit Ödemen in der Hinterhand hat.
Stellt sich für mich als Tierarzt die Frage, was die Ursache dieses Ödems ist. Hat das Tier einfach eine generelle Bindegewebsschwäche und neigt deshalb zu Ödemen? Oder hat es ein Problem mit der Leber, weil es zu viel Protein in der Ration hat oder gar ein Toxin? Ist die Ursache eine Herzschwäche? Die Ursache des Ödems entscheidet darüber, welche Pflanze ich zur Durchblutungsförderung einsetze.
Das kann manchmal mit einem Fertigarzneimittel nicht realisiert werden. Weshalb ich zu einer individuellen Zusammenstellung meiner Phytotherapeutika tendiere. Man kann dann auch mit Dosierungen und den Anteilsverhältnissen im zusammengesetzten Produkt arbeiten und sie an die Bedürfnisse des Patienten anpassen.
Auf Turnier zu gehen bedeutet für unsere Pferde einfach nur Stress. Machen wir uns nichts vor. Sie sind deshalb anfälliger für Erkrankungen und Verletzungen. Und dabei meine ich nicht nur ansteckende Erkrankungen. Sie sind auch anfälliger für Erkrankngen die durch Hormonschwankungen (EMS, Cushing, usw.) oder erhöhte Entzündungsbereitschaft (Magenulzera, Haut- und Lungenerkrankungen, Überempfindlichkeitsreaktionen) ausgelöst werden können. Pflanzen zur Behandlung oder besser noch, zur Gesunderhaltung von Sportpferden einzusetzen hat einen großen Vorteil. Sie sind einfach dem Futter beizumischen und kaum dopingrelevant. Das bedeutet, die meisten Pflanzen haben eine Absetztfrist von 48 Stunden vor dem Turnier. Welches Arzneimittel kann das für sich behaupten?