Posted by on 21. Juni 2018

Gibt es die Flektion in der Wirbelsäule? Und was bewirkt sie.

Ja, es gibt sie wirklich, die Flektion der Wirbelsäule. Entgegen der Behauptung mancher Trainer.

Die Bauchmuskulatur und die Zwerchfellmuskulatur sind sowohl an der Flektion der Wirbelsäule und ihrer Aufrechterhaltung, sowie deren Rotation und Seitneigung beteiligt. Die Feinabstimmung dieser Bewegungen erfolgt jedoch über die Muskulatur und den Bandapparat der Wirbelsäule. Diese Muskulatur ist ebenfalls an der Verteilung des Reitergewichtes als auch des Schwungs der Vorwärtsbewegung auf die wichtigsten stoßdämpfenden Strukturen des Pferdekörpers beteiligt. Nämlich den Schultergürtel, Einrichtungen des Energy Storing Systems der Vordergliedmaße (Beugesehnen) und den Bandapparat des Iliosakralgelenks.

Muskulatur (nicht vollstandig, wichtigste Anteile)

Da hätten wir einmal den M. longissimus dorsi.

    Er kann in drei Abschnitte (Halsteil, Brustteil und Lendenteil) unterteilt werden und verläuft, immer 3-5 Wirbel (Segmente) überspannend, von dorsal hinten schräg nach vorne ventral.
    Das ist wichtig zu wissen, denn seiner anatomischen Lage nach richtet er die Dornfortsätze auf (Extension der Wirbelsäule). Der Iliocoatalis (ebenfalls aus den 3 Anteilen bestehend) ist neben seiner Funktion als Aufrichter der Wirbel auch noch ein Hilfsatemmuskel (hoher Tonus in diesem Muskel > Auswirkung auf die Atmung).

Dann müssen wir noch auf die M. multifidii achten.

    Diese verlaufen von ihrer Faserrichtung entgegensetzt zum Longissimus und überspannen nur 1 Wirbelsegment. Sie reichen z.B. vom Gelenk- oder Zitzenfortsatz des z.B. 12 Brustwirbels zum Dornfortsatz des 11. BW. Er ist also eher ein Niederzieher des Dornfortsatzes und damit Beuger der Wirbelsäule.

Um also die Wirbelsäule in Dehnungshaltung zu Beugen, arbeiten die M. multifidii in konzentrischer (verkürzender) Arbeit. Der M longissimus dorsi und der M. iliocostalis jedoch in exzentrischer (Dehnung).

Ein weiterer wichtiger Stabilisator der hinteren Brust- und der Lendenwirbelsäule ist der M. iliopsoas.

    Er besteht aus dem oberflächlichen und tiefen Anteil des M. psoas major (beginnt an Querfortsätzen der letzten Brustwirbel und an denen der Lendenwirbel und zieht an die Innenseite des Oberschenkels). Der zweite Anteil ist der M. iliacus, der von der Innenseite der Beckenschaufel abenfalls an die Innenseite des Oberschenkel zieht. Der Iliopsoas sind räumlich sehr eng mit dem Plexus lumbalis verbunden. Er stellt die Nervenversorgung eines Hauptteils der Muskulatur und Haut der Hintergliedmaße, aber auch den Geschlechtsapparat und Teile der Bauchwand.
    Ihr könnt euch also vorstellen, was Blockaden dieses Nervengeflecht aufgrund von Blockaden im M. iliopsoas für die Hinterhand, die Bauchmuskualtur und Reproduktionsprobleme des Pferdes bedeuten.

Ebenfalls Auswirkungen auf die Stabilität der Wirbelsäule hat der M. latissimus dorsi.

    Er reicht von der Fascia thoracolumbalis (liegt im Bereich der Lenden und Brustwirbelsäule seitlich neben der Wirbelsäule und bedeckt die Lendenregion) und heftet sich von außen um den Oberarm vorne innen am Schultergelenk an. Blockaden im Latissimus führen zu einer Extension der Wirbelsäule, einer verminderten Streckung des Schultergelenks und einer Störung der Innenrotation. In meiner Praxis eine häufig vorkommende Läsion. Pferde mit einer Hypertension im Latissimus weisen eiseitig oder beidseitig eine deutliche Mulde hinter dem Schulterblatt und zeigen eine deutlich stärker ausgeprägte Körperunterlinie als Körperoberlinie. Außerdem wirkt der Rücken leicht hängend.

Das sind die Symptome der Hypertension. Dennoch ist der Latissimus ein wichtiger Muskel beim Geraderichten. Ihr seht also wie in der Medizin: die Dosis macht das Gift. Tonus ja, Training auch, aber keine Hypertension.

Was ermöglicht die Aufwölbung oder Beugung (Flektion) der Wirbelsäule unserem Pferd?

Wirbelsäule Flektion, Flektion in Dehnungshaltung
Aus: Science in Motion

Erklärung:

    Die Beugung oder besser Dehnungshaltung der Wirbelsäule und besonders des Halses verlagert das Instant Center of Rotation nach vorne. Wobei das Instant Center of Rotation die Achse bezeichnet, um die der Wirbel alle Bewegungung (Flektion, Rotation und Seitneigung) ausführt. Diese englische Formulierung ist meiner Meinung nach der Ursprung des Irrglaubens, in der Wirbelsäule fände keine Flektions- und Extensionsbewegung statt.
    1. In Beugungshaltung ist die Amplitude von Seitneigung und Rotation der Wirbelsäule erhöht, heißt unser Pferd kann sich leichter und weiter biegen und stellen.
    2. Die Belastung auf die Bandscheiben insbesondere zwischen LW 5 und Sakrum ist durch die Dehnungshaltung in Flektion erniedrigt.
    3. Die Belastung der kleinen Wirbelgelenke (Facettegelenke) wird niedriger, je weiter das Instant Center of Rotation in Flektion nach vorne wandert und umgekehrt.
    Aus: The relation between the instantaneous center of rotation and facet joint forces – A finite element analysis.
    Schmidt H1, Heuer F, Claes L, Wilke HJ.

Warum ist die Flektion und Dehnungshaltung nun so wichtig für das Reitpferd?

Außer, dass diese Haltung es unseren Pferden leichter macht sich zu biegen, ist die Stoßbrechung für die Ausbildung und Nutzung unseres Reitpferdes von elementarer Bedeutung.

Lig. longitudinale dorsale Wirbelsäule Pferd

Das in der Flektion aufgespannte Ligamentum longitudinale dorsale dient als hauptsächliche stoßbrechende Einrichtung der Wirbelsäule. Es wird durch die flektierende Muskulatur des Pferdes physiologisch gedehnt (keine Überdehnung). Natürlich sind die M. multifidii an der Feinabstimmung mit beteiligt. Im Gegensatz zum Bandapparat, der nicht ermüdet, würde aber die Daueranspannung der M multifidii zu Ermüdung dieser Muskeln führen. Das Aufspannen des dorsalen Bandapparates durch Rücken- und Bauchmuskulatur schafft also einen ermüdungsfreien Trageapparat, während die einzelnen an der Flektion beteiligten Muskelgruppen, je nach Bewegung, immer wieder Anspannen und Relaxierne können.

Erinnerung:

    Muskeln müssen, um fehlerfrei zu funktionieren, nach Kontraktion wieder in ihren Ruhe- oder Ausgangstonus zurückkehren. Andernfalls entstehen Verkrampfungen, Muskelkrämpfe oder Muskelverletzungen. Und daraus osteopathische Probleme und veränderte Grundspannungen der Muskulatur.

Bänder besitzen Rezeptoren für Überdehnungsverletzungen, die die umgebende Muskulatur durch einen vermehrten Tonus in den entsprechenden Muskelgruppen zur Entlastung des verletzten Bandes veranlassen.

Der dorsale Bandapparat fängt den von oben einwirkenden Stoß durch das Reitergewicht ab, in dem er von einer Dehnung in eine Entspannung federt.
Während dieser Bewegung nähern sich die Dornfortsätze an.
Da sich der dorsale Bandapparat entspannt, kann er durch diese Bewegung keinen Schaden nehmen.

Lig. longitudinale ventrale, Wirbelsäule Pferd

Das Ligamentum longitudinale dorsale wird in seiner Wirkung vom Ligamentum longitudinale ventrale komplettiert.
Im Gegensatz zum dorsalen Band gerät dieses jedoch durch einen Stoß von oben in eine Dehnung und begrenzt damit die Annähreung der Dornfortsätze. Die Amplitude der Dehnung wird nicht physiologisch von der Eigenmuskulatur beeinflußt, sondern durch äußere, vom Pferd nicht steuerbare Einwirkungen. Dieses Band kann sehr wohl überdehnt werden und damit Schaden nehmen. Die Überdehnung verursacht eine Reaktion der Dehnungsrezeptoren und die Versteifung des betroffenen Bereiches der Wirbelsäule durch die umgebende Muskulatur.

Dies gilt insbesondere für das Iliosakralgelenk.
Das Sakrum ist frei zwischen dem Beckengürtel aufgehängt. Für seine Stabilisation, aber auch seine freie und hohe Beweglichkeit ist ein massiver Bandapparat verantwortlich. Bisher ist man davon ausgegangen, dass Bänder nur sehr wenig schmerzempfindliche Strukturen sind. Dies trifft wohl ausgerechnet für einige der Bänder des Iliosakralgelenks nicht zu, sie sind ausgesprochen gut mit Nerven versorgt.

Jetzt könnte man meinem, die durch die Hypertension einzelner Muskeln entlasteten Bänder wären geschützt und könnten so heilen. Im Gegenteil. Der erhöhte Tonus vermindert die Durchblutung im geschädigten Bereich und verhindert die Heilung. Deshalb macht es Sinn, Blockaden kurze Zeit nach der Verletzung wieder zu lösen.

Ich werde häufig gefragt, warum fast alle Pferde immer etwas mit dem Iliosakralgelenk haben.

Genau deshalb.
Es ist die Stelle mit der größten Beweglichkeit, höchsten Schubbelastung und der Übergang zwischen unterschiedlichen Belastungseinwirkungen: Extremität (vertikal) zu Wirbelsäule (horizontal).

Zusammenfassung:

Über Läsionen des Iliosakralgelenkes werde ich bestimmt auch nochmal ein Kapitel schreiben.

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