Posted by on 1. Januar 2021

Sehnenverletzungen sind mit 46% die häufigsten Verletzungen bei unseren Sportpferden. 97 – 99% betreffen die oberflächliche Beugesehne. Dabei hört man immer wieder, dass sich das Pferd auf der Weide vertreten hat, oder nach dem Sprung schlecht aufgekommen ist.

Sind plötzlich auftretende Symptome wirklich immer akute Verletzungen?

Die Osteotherapie führt mir tagtäglich vor Augen, dass viele Verletzungen, die uns akut erscheinen, nicht so akut sind, wie wir glauben.

Vielleicht ein Beispiel von letzter Woche:
Eine Kundin ruft mich zu ihrem Pferd. Das Problem eine akute Lahmheit rechts vorne. Akut im Sinne von ganz plötzlich aufgetreten vor 6 Wochen.
Beim Abtasten des Vorderbeins ist eine harte Umfangsvermehrung kraniomedial am Krongelenk spürbar. Gleichzeitig ist die Rotation nach lateral eingeschränkt.
Die Röntgenkontrolle bestätigt meine Diagnose: Krongelenksschale.
Die erste Frage der Kundin war, ob die Verletzung akut vor 6 Wochen entstanden sein könnte.

Klare Antwort: Nein.

Die Problematik muss länger als 6 Wochen bestehen. Sonst könnte man auf dem Röntgenbild keine knöcherne Veränderung erkennen.

Jetzt handelt es sich bei ihrem Pferd um einen Andalusier und leider scheint man bei einer großen Anzahl dieser Pferde in jungen Jahren nicht viel Wert auf eine sorgfältig Hufbearbeitung und Pflege zu legen.
Bei diesem Pferd kommt jedenfalls zur Stellungsanomalie zeheneng und bodenweit auch noch eine fehlerhafter Hufbearbeitung mit lateralem und medialen Hufungleichgewicht dazu.

Die linke – radiographisch noch unauffällige Vorhand – steht in Huf- und Krongelenk medial enger als lateral. Die Röntgenbilder der rechten Vorhand offenbaren das ganze Problem:

Krongelenkschale lateral
Krongelenkschale ap

Gelenkspalt lateral geringgradig enger als medial, auch nach versuchter Korrektur durch Schmied noch vorhanden. Im roten Kreis: Strukturelle Veränderungen am medialen Kollateralband aufgrund erhöhter Zugkräfte durch Erweiterung des Gelenkspaltes.

Der Gelenkspalt lateral steht enger als der mediale. Also genau anders herum als bei der linken Vorhand. An der medialen Seite finden sich am kraniomedialen Gelenkrand Verknöcherungen der Kapsel und an den Ansätzen des medialen Kollateralbandes.
Zurückzuführen sind diese Veränderungen auf eine andauernde Überdehnung der Strukturen der medialen Seite des Gelenkes. Und das nicht erst seit gestern oder letzten bzw. vorletzten Monat sondern mindestens über das gesamte letzte halbe Jahr.

Dieser Fall zeigt deutlich, dass eine andauernde Fehlbelastung zu einer schleichenden Veränderungen tragender und belasteter Strukturen sorgt. Das Symptom der Lahmheit mag plötzlich oder akut auftreten, während die tatsächliche Ursache des Symptoms lange schon einwirkt und die Voraussetzungen für eine Verletzung schafft.

Wie sieht das jetzt bei Sehnenverletzungen aus?

Die oberflächliche Beugesehne arbeitet im Galopp mit einer maximalen Dehnung von 16%. Das liegt nahe am Belastungslimit. Sie gehört zu den “Energy Storing Tendons”, wie die Achillessehne beim Menschen und geben den aufgefangenen Schwung beim landen beim Abfußen wieder in die Bewegung ab.
So sind Mikroläsionen und molekulare Veränderungen vor allem aufgrund repetitiver Belastungszyklen vorprogrammiert. Untersuchungen zeigen dass bei 97% aller Sehnenrisse bereits chronische Vorschädigungen vorhanden sind.

Chronische Schäden häufiger als gedacht

Sehnenultraschll

Bild aus: Tendon and Ligament Injury; Roger K. W. Smith, MA, VetMB, PhD, DEO, Diplomate ECVS, MRCVS; The Royal Veterinary College, University of London, United Kingdom

(Links) Tranversal- und (rechts) Longitudinal-Ultraschallbilder aus der proximalen Metakarpalregion eines Pferdes mit chronischer
oberflächlicher digitaler Beugesehnen-Tendinopathie. Man beachte die vergrößerte SDFT mit heterogener Echogenität und einem schlechten längsgestreiften Muster. Dies ähnelt dem Erscheinungsbild der Sehne im transversalen Bild, was auf das Fehlen von normal ausgerichteten
Kollagenfasern hinweist.

Viel interessanter ist, auch bei gesunden Tieren ohne Symptomatik findet man bei 34 % der untersuchten Tiere chronische Veränderungen der oberflächlichen Beugesehne.
Dies zeigt, dass alters- und belastungsbedingte Veränderungen wahrscheinlich viel häufiger die Ursache für eine Verletzung dieser Sehne sind als akute Verletzungen.

Durch Mikroläsionen und schlechte Durchblutung entstehen “molekulare Entzündungen”, die sich nicht im Ultraschall nachweisen lassen. Metalloproteasen verändern ihre Aktivität, Tenozyten ihre Funktion. Dadurch verändert sich vor allem im mittleren Bereich der oberflächlichen Beugesehne histologische Zusammensetzung der Sehne, sowie ihre Elastizität und Stabilität.
Tritt dann eine momentane starke Überbelastung auf zum Beispiel wenn der Schultergürtel nicht mehr stoßabfedernd wirken kann, oder ein Schlag auf die Sehne unter Last (Tritt in die eigene Sehne) können schwere Sehnenschäden entstehen.
Allerdings ist das Trauma dann nur der Auslöser, nicht aber die Ursache.

Übrigens: laterale und mediale Huf-Imbalancen sind ebenfalls häufig die Ursache für Mikrotraumen der oberflächliche Beugesehnen.

Also: Vorbeugen durch regelmäßige osteotherapeutische Behandlung (Rumpftrageapparat, passiver Stehapparat, Os carpi accessorium), sinnvolle Belastung und guter Beschlag zahlen sich aus.

Wer sich wirklich tiefgehend informieren will:

Age-related changes of tendon fibril micro-morphology and gene expression
Iris Ribitsch, Sinan Gueltekin, Marlies Franziska Keith, Kristina Minichmair, Christian Peham, Florien Jenner and Monika Egerbacher

Department for Companion Animals and Horses, Veterm, University Equine Hospital, Vetmeduni Vienna, Vienna, Austria
Department of Pathobiology, Unit of Histology and Embryology, Vetmeduni Vienna, Vienna, Austria