Posted by on 11. November 2019

Physiologische Hufbearbeitung – oder das Märchen von der “Planen Fussung”

Um Pferden eine physiologische Bewegung und Fussung zu ermöglichen, halte ich es für nicht genug, sie einfach immer nur kommentarlos osteopathisch zu behandeln. Huf und Reitweise sind immer ein Teilaspekt meiner Behandlung und werden mit kontrolliert. Das mache ich nicht, um die Hufschmiede oder Reitlehrer zu diskreditieren. Sondern weil mir bewusst ist, dass Bewegung nur als Ganzes funktioniert und dass ich alleine, selbst durch eine regelmäßige osteopathische Behandlung nur kurzzeitigen Erfolg bringen kann.

Wenn ich ehrlich sagen soll, wieviel verändern die einzelnen “Störfaktoren” an der physiologischen Bewegung? Dann würde ich sagen

85 % der Reiter und seine Reitweise
7 % der Beschlag
5 % der Sattel
3 % Unfälle (beim Reiten oder auf der Koppel)

Deshalb glaube ich schon, dass man über den korrekten Beschlag und v.a. über eine korrekte Hufbearbeitung sprechen muss. Auch wenn der Reiter der größte Einflussfaktor ist, ein Pferd steht 24 Stunden auf seinen Hufen und da sollte der Beschlag schon passen. Ein Pferd sollte angenehm und ungestört stehen können.

Hufformen, Fehlstellungen der Beine und Hufe und Ihre Auswirkungen auf die Pferdegesundheit

Wer etwas über die unterschiedlichen Hufformen und Bein- und Zehenfehlstellungen und ihre Belastung für den Bewegungsapparat wissen möchte, der kann das googeln oder in den Lehrbüchern der FN nachlesen. Ja, natürlich verursachen Fehlstellungen Mehrbelastungen an zugehörigen Gelenksstrukturen. Aber man findet immer wieder Röntgenbilder, die die Auswirkung von angeborenen Fehlstellungen an den Gelenken von Pferden aufzeigen sollen.

Falscher Beschlag

Diese Röntgenbilder zeigen keine angeborenen Fehlstellungen, sondern die Folgen einer fehlerhaften Hufzubereitung. Bei angeborenen Fehlstellungen sind die Abstände der Gelenkflächen zueinander lateral wie medial gleich, obwohl der Huf von außen gesehen optisch schief ist. Das heißt der Druck der Gelenkflächen aufeinander ist an allen Punkten des Gelenkes gleich hoch, die Seitenbänder lateral und medial bekommen keine unterschiedlichen Zugstärken und Belastungen während der Bewegung.
Man kann und muss bei Pferden mit angeborenen Fehlstellungen die Hufe an den Seitenwänden und Eckstreben unterschiedlich lassen, damit die Druckverhältnisse auf die Gelenke ausgeglichen werden.
Und das erkenne ich auch am Röntgenbild.
Daran, dass auch bei Pferden mit angeborenen Fehlstellungen die Gelenkspalten an der Innen- und Außenseite des Beines gleich weit sind. Trotz Fehlstellung.

Und alles andere, wie zum Beispiel die Abstandsunterschiede auf dem oberen Röntgenbild, sind Fehler im Beschlag!!!

Ansonsten ist beim korrekten Beschlag immer darauf zu achten, dass Trachtenlängen an der Innen- (medialen) und Außenfläche (lateralen) gleich lang sind. Wohlgemerkt gleich lang und nicht gleich hoch, das ist ein Unterschied.

Das ist es, was ich unter planer Fussung verstehe. Was ich nicht darunter verstehe ist, dass Trachten und Zehe bei der Landung gleichzeitig auffußen.

Das “Abrollverhalten” von Hufen

Die Frage ist: Rollen Hufe ab und kann ich es “Abrollen” nennen, mein Pferd steht ja sowieso schon auf der Zehenspitze?

Zum ersten Punkt: ich habe mir alle Videos, die ich auf youtube zum Thema Auf- und Abfussen bei Pferden gefunden habe angeschaut. Von der Seite gesehen und von vorne. Dass Pferde über die Zehe abrollen müssen, dürfte jedem klar sein.
Aber wie kommen sie auf? Plan? Eben nicht. Sie kommen tatsächlich mit der Trachte zuerst auf und rollen dann nach vorne über die Zehe ab. Und zu Punkt zwei, ja man muss es sogar “Abrollen” nennen, was ist es denn sonst?

Hier mal ein paar schöne High speed Videos.

Das erste zeigt das Abrollverhalten bei einem Pferd unbeschlagen.

Abrollverhalten unbeschlagen

https://youtu.be/vj09UtRIwHI
Das zweite Video zeigt das gleiche Pferd beschlagen. Hier ist das deutlich abruptere Herunterfallen der Zehe und das schlechtere Abrollverhalten bereits deutlich zu erkennen. Das Pferd setzt mit dem Eisenschenkel auf und plumpst dann auf die plane Fläche des Eisens.

Fussung beschlagen, Abrollverhalten vermindert

https://youtu.be/oyZV9L1chbM

Die Videos sind mit freundlichen Genehmigung von Eylon Joseph. Ihr findet sie auch auf meiner Seite bei Facebook und auf Eylons Seite.

Wem das nicht reicht empfehle ich youtube https://www.youtube.com/watch?v=gQI-C0B6hPw, https://www.youtube.com/watch?v=vWqSVZnY9Uw.

Die anatomische Erklärung für das Abrollen

Wenn man sich die Anatomie der Zehengelenke, die Lage der Kollateralbänder (Seitenbänder) von Huf-, Kron- und Fesselgelenk und die daraus resultierenden Stabilitäten ansieht, dann wird auch klar, warum ein gesundes Pferd mit der Trachte zuerst auffußt. Im Moment der Fussung benötigt das Pferd in seinen Zehengelenken die maximale Stabilität. Fehlt den Zehenglenken beim Fußen diese Stabilität, versucht die strapazierte Kapsel sich durch Einlagerung von Knochensubstanz zu stabilisieren. Mit der Zeit würde sich also eine Kron- oder Hufgelenksschale entwickeln, ein typisches Zeichen für Instabilitäten in den Zehengelenken.

Aber wann haben die Zehengelenke ihre maximale Stabilität. Das erklärt sich aus der Anlage der Seitenbänder oder Kollateralbänder und der Funktionsweise der Zehengelenke. Sie sind so angelegt, dass sie in der Nullstellung der Huf- und Krongelenke den größten Widerstand haben und die Beugung der beiden Gelenke hemmen. Sie zählen also funktionell zum Fesseltrageapparat und entlasten im Moment der Fußung den M. interosseus und den übrigen Fesselträger.

Was ist nun die “Nullstellung” und wie sieht der Moment der physiologischen Fussung aus?

Dazu habe ich hier ein Röntgenbild, dass den Moment des Auffußens zeigt. Wie man sehen kann mit den Trachten zuerst.
In der Nullstellung befindet sich ein Gelenk dann, wenn alle Gelenkbänder (dorsale wie ventrale, laterale wie dorsale) in der gleichen Spannung stehen. Das Zentrum der oberen (proximalen) Gelenkfläche steht genau über dem Zentrum der distalen Gelenkfläche.
Außerdem sind die lateralen Gelenkbänder im Moment des Auffußens lotrecht zum Boden ausgerichtet, um die Gelenke in dieser Position optimal zu stabilisieren.

Fussung Roentgen

Physiologische Fussung des Pferdes mit Trachte zuerst. Vielleicht fällt Euch auf, dass es sich hier um ein beschlagenes Pferd handelt. In diesem Fall handelt es sich jedoch um einen Spezialbeschlag nach Stefan Wehrli (WTS Eisen), der das Abrollen des Hufes über die Wände des Hufes in alle Richtungen möglich macht (nur geeignet, wenn keine funktionellen und strukturellen Veränderungen an den Zehengelenken und deren Bandapparat). Das Bild ist mit freundlichen Genehmigung von Stefan Wehrli, WTS, Switzerland.

Zusätzlich habe ich Euch den Verlauf der Seitenbänder eingezeichnet und eine grüne Linie, die die Nullstellung des Huf- und Krongelenks markiert. Würde ein Pferd also plan fußen, würde es bereits mit einem gebeugten Huf- und Krongelenk aufkommen, die Wirkung der Kollateralbänder wäre abgeschwächt und das Gelenk wäre instabil.

Fussung in Nullstellung, Bandapparat

Pferde die wirklich plan fußen, haben einen Hypertonus in den Beugern der Zehengelenke und sind prädestiniert für Verletzungen des Fesselträgers und Schalenbildung in den Zehengelenken. Und ein korrekter Beschlag, wird immer das physiologische Abrollverhalten des Pferdes fördern. Und nur wenn ich als Osteotherapeut das alles mit beachte, macht für mich Osteotherapie auch Sinn.