Posted by on 17. März 2019

Was bedeutet sich selbst tragen für ein Pferd?

Es gibt wohl keinen Reiter, der nicht mit den Begriffen “sich selbst tragen”, “sich selbst ausbalancieren” oder “in natürlicher Aufrichtung” um sich wirft.

Dennoch scheinen die meisten Reiter konsequent den wichtigsten Teil dieser Begriffe zu vergessen. Sich selbst

Ich denke, dass dieses sich selbst nur aus einer korrekten und durch den Reiter unbeeinflussten Schulung in den ersten drei Punkten der Ausbildungsskala entstehen kann.

Wir müssen einem Pferd nicht “seinen” Takt beibringen oder es in”seinem” Takt halten. Wir müssen nur in der Lage sein, den wirklichen Takt des Pferdes zu erfühlen und ihn nicht stören. Findet das Pferd seinen Takt nicht, werden wir das mit keiner Reiterei der Welt ersetzen.

Dann müssen wir nach den Ursachen forschen.
Und die liegen in der Balance des Pferdes. Hat das Pferd osteopathische Läsionen, oder auf Deutsch: Blockaden, dann hat es Probleme in der Balance und findet seinen Takt nicht. Dann sollten wir diese Blockaden beheben und nicht stur heil versuchen, mit reiterlichen Mitteln das Pferd in einen Takt zu zwingen. Wir können ihn nämlich nicht erzwingen.

Die Idee den Takt zu beeinflussen indem ich schnelle Pferde “zurück reite” (ein schrecklicher Ausdruck) oder langsame Pferde flott mache ist nett. Wir sollten uns aber ins Gedächtnis rufen, das kein Pferd trödelt oder uns unter dem Hintern davon läuft, weil es gerade mal so auf die Idee kommt. Sondern dahinter stecken immer Probleme mit der Balance, also Blockaden und im Endeffekt Schmerzen bei der entsprechenden Bewegung.

Wir sollten auch nie versuchen, einen Takt schwungvoll zu machen.

Schwung und Takt haben nichts miteinander zu tun. Genauso wenig wie eine A-Dressur etwas mit Aufrichtung zu tun hat.

Der Takt ist genauso lang, wie die Zeit die ein Pferd braucht, um eine Bewegung raumgreifend – also bis zur Grenze der Beuge- und Streckbewegung – auszuführen. Fangen wir an den Takt zu forcieren, wird das Pferd die Beuge- oder Streckbewegung im jeweiligen Gelenk vorzeitig abbrechen, um den ihm aufgezwungenen Takt einzuhalten. es ist aus dem Gleichgewicht, trägt sich nicht und sucht nicht nach Anlehnung in Dehnungshaltung.

sich selbst tragen falsch

Pferd ohne Dehnungshaltung im Oberhals und aus dem Gleichgewicht. Der Raumgriff nach vorne ist im Vergleich zu dem nach hinten vor allem in der Vorderglliedmaße deutlich eingewschränkt. Das Pferd fällt in seinen Rumpfträgern nach unten, es fällt auf die Vorhand. Es ist nicht in der Lage, in der Wendung die Zirkellinie einzuhalten und geht mit der Aufnahme der Zügel mit der Nase hinter die Senkrechte.

Takt, Losgelassenheit und Anlehnung sind Ausbildungspunkte, die nur vom Pferd selbst erreicht werden können. Der Reiter hat dabei nichts anderes zu tun, als seine eigene Balance über dem Pferd zu halten und das Pferd nicht zu stören.

Wir sprechen immer von reiterlichen Hilfen.

Ich würde es nicht als Hilfe bezeichnen, wenn ich durch ständiges Treiben ein Pferd in “seinem” Takt halte. Oder es zwischen beide Schenkel klemme, damit es im “Gleichgewicht” ist. Das wäre dann eher eine Zwangsmaßnahme.

Gestern durfte ich auf der Equitana das Livetraining von Frau Uphoff-Selke beobachten.
Ich werde hier keine Stimmungsmache gegen Frau Uphoff-Selke betreiben. Sie ist eine unserer besten Reiterinnen und eine ausgesprochen gefühlvolle Trainerin. Dass sie sich dazu entschieden hat, einem Dressursport den Rücken zu kehren, der das Wohl des Pferdes aus den Augen verloren hat und das Pferd wie ein lebloses und gefühlloses Sportgerät behandelt, das einzig und allein dazu dient, Geld und Prestige denjenigen einzubringen, die kein Maß und kein Mitgefühl kennen, finde ich in höchstem Maße bewundernswert. Reiten hört für mich da auf, wie Gier und Narzissmus anfangen.

Und wenn die fundierte Kritik an der gewissenlosen und grausamen “Reiterei” einiger Nationen und Reiter einem hochdekorierten und biomechanisch ausgesprochen versiertem FEI Richter die Suspendierung der FN und eine Verfolgung durch Rechtsanwälte einbringt, dann haben sich die FN und ihr Dressursport in meinen Augen degradiert.

Dennoch möchte ich ein paar Kritikpunkte am Livetraining anbringen dürfen.

Das erste Reiterpaar war ein Beispiel dafür, wie perfektes Reiten auf einem schonend ausgebildeten Pferd aussehen kann. Losgelassen, vertauensvoll, in perfekter Anlehnung und Harmonie.

sich selbst tragen richtig

Pferd das sich frei und selbst trägt. Es sucht mit gedehnter Oberhalslinie und nach vorne nach Anlehnung. Der Raumgriff in Streckung und Beugung sind gleich lang, was dem Pferd ermöglicht, sein Gleichgewicht zu finden.

Leider nicht so die darauffolgenden Paare.

Jedes dieser Pferde lief deutlich hinter der Senkrechten (Anlehnungsproblem) und hatte auf die eine oder andere Art Probleme mit Takt und Losgelassenheit. Frau Uphoff-Selke bezeichnete das als eine Momentaufnahme und man sollte das ganze Pferd betrachten.
Mit letzterem gehe ich d’accord, mit der Bezeichnung Momentaufnahme nicht. Vielleicht sollten wir endlich anfangen, einen hinter der Senkrechten getragenen Kopf als grundlegendes Problem in den ersten drei Ausbildungspunkten zu betrachten und nicht versuchen, dieses Problem mit Lektionenreiten zu übergehen.

Das zweite Paar zeigte einen deutlich übereilten Takt, der in einer körperlichen und psychischen Verspanntheit des Pferdes resultiert. Das Pferd paddelte zwar hübsch mit den Beinen, zeigte aber kaum Beweglichkeit in der Wirbeläule und ließ den Rücken durchhängen. Es wirkte ständig so, als würde es im nächsten Moment auseinanderfallen und ist steif in den Wendungen.

Das dritte Paar hatte weitreichende Probleme aufgrund der Physiologie des Pferdes. Zwar wirkte es auf den ersten Blick taktvoll, zeigte aber Verkürzungen in der Vorführphase der äußeren Hintergliedmaße, weil ihm in den Wendungen die Balance fehlte.
Es handelt sich bei diesem Pferd um ein extrem bewegliches und flexibles Pferd mit großen Bewegungen. Schön sollte man meinen. Dennoch sind diese Pferde ausgesprochen schwer zu trainieren. Wenn ich jetzt sage, dass solche Pferde Probleme mit der Losgelassenheit haben, werden Sie erst einmal aufschreien.

Aber was bedeutet Losgelassenheit?

Nicht das ein Pferd schlabbrig vor sich hinläuft. Losgelassenheit setzt einen gewissen Grundtonus der Muskulatur vorraus. Das Pferd muss in der Lage sein, sich selbst zu stabilisieren, damit es sich selbst auch ausbalancieren kann. Darin liegt die Problematik dieses Pferdes.
Die meisten Reiter neigen bei solchen Pferden dazu, von außen stabilisieren zu wollen. Mit dem Zügel und den Schenkeln. Einrahmen nennen wir das in der Reiterei. Aber, kein Rahmen und ist er noch so gut gemeint, ist ein Ersatz für das eigene Gleichgewicht oder die Balance des Pferdes. Solche Tiere brauchen extrem viel Zeit, eine stabile Balance zu finden. Und die müssen wir ihnen geben. Ohne Zügel und ohne Schenkel.
Zusätzlich verunsichert die Reiterin das Pferd damit, dass sie oft deutlich hinter der Senkrechten sitzt und damit die Fähigkeit des Pferdes, sich zu tragen weiter einschränkt.

Auch das vierte Paar zeigte einen übereilten Takt und die daraus resultierenden Probleme in Losgelassenheit und Anlehnung. Dies zeigte sich besonders in den Übungen zur Piruette. Dort verlangsamte das Pferd deutlich sichtbar seinen Takt. Ein sicheres Zeichen dafür, dass es um “sich selbst” tragen zu können und Gewicht aufzunehmen einen langsameren Takt benötigen würde.

Alle drei Pferde sind eigentlich in ihrer Ausbildung nicht weit genug, um in die Ausbildungspunkte Schwung, Geraderichten und Versammlung geritten zu werden. Man wird sie auch nicht reell korrigieren, geht man nicht zum Ausbildungspunkt Takt zurück. Takt ohne Einwirkung des Reiters. An der Longe und in aller Ruhe. Korrekturen durch Lektionenreiten ist keine zufriedenstellende Lösung. Man wird diese Pferde immer nur von hinten und mit massiver Einwirkung an die Senkrechte heran reiten. Ziel sollte aber ein Pferd sein, das aktiv die Anlehnung sucht.