Posted by on 7. Februar 2019

Der letzte Blogbeitrag handelte vom Takt als ersten Punkt der “Skala der Ausbildung”, seinen verschiedenen Aspekten und welche Faktoren den Takt des Pferdes beeinflussen.
In diesem Blogbeitragmöchte ich den nächsten Punkt der Ausbildungsskala – die Losgelassenheit – aus osteopathischer Sicht, aber auch aus menschlichen und verhaltensbiologischen Gesichtspunkten behandeln. Denn wie der Takt, so hat auch die Losgelassenheit tiefere Schichten, ohne deren Beachtung in der Reiterei keine wirkliche Losgelassenheit erreicht werden kann.

Was bedeutet Losgelassenheit aus biomechanischer oder biomotorischer Sicht.

Losgelasseheit bedeutet das gleichmäßige an und Abspannen der Muskulatur in der Bewegung.
Losgelassenheit bedeutet aber auch, dass auch während der Entspannungsphase des Muskels eine gewisse Grundmuskelspannung erhalten bleibt, die nur doch konstantes Training erworben wird. Ohne diese natürliche Basismuskelspannung sind Pferde behäbig in ihrer Reaktion und anfällig für Unfälle und Verletzungen.
Und wie der Begriff “gleichmäßig” schon vermittelt, hat die Losgelassenheit etwas mit Taktmäßigkeit zu tun.
Habe ich als Reiter mit meinem Pferd ein Problem mit der Losgelassenheit, muss ich als allerstes den Takt überprüfen.
Die einzelnen Ausbildungsschritte der “Skala der Ausbildung” greifen nahtlos ineinander und beeinflussen sich immer gegenseitig.
Es hat auch in höheren Ausbildungsständen keinen Sinn, an einem Problem wie zum Beispiel an einem nicht funktionierenden Galoppwechseln oder einer nicht erreichten Aufrichtung verbissen weiterzuarbeiten, ohne nicht gewissenhaft und ehrlich mit sich selbst die vorangegangenen Ausbildungsschritte zu überprüfen.

Reiten hat sehr viel mit Disziplin und ehrlicher Selbsteinschätzung und ganz wenig mit Ego zu tun.

Zurück zur Losgelassenheit.

Die FN schreibt zum Ausbildungspunkt “Losgelassenheit”:

    unverkrampftes An- und Entspannen der Muskulatur, bei innerer Gelassenheit

oder ausführlicher bei Wikipedia:

    Losgelassenheit beschreibt beim Reiten oder Fahren den Zustand, in dem ein Pferd mit schwingendem Rücken, nach vorne gedehntem Hals und ohne Eile mit natürlichen, taktmäßigen und entspannten Bewegungen läuft und auf die Hilfen des Reiters bzw. Fahrers reagiert. Die Losgelassenheit ist die zweite Stufe der Ausbildungsskala bei Pferden.

losgelassen, in Dehnungshaltung

Pferd losgelassen und in Dehnungshaltung, deutliche Spannung in der oberen Halsmuskulatur, guter Kontakt zur Hand, wenn auch ein wenig hinter der Senkrechten
und – obwohl der Hals tief ist – erkennt man deutlich den getragenen Rumpf mit dem Widerrist als höchstem Punkt, die Hinterhand ist engagiert und tritt
genügend unter den Schwerpunkt; Trainerlehrgang Hofgut Liederbach, “Reitersitz und Biomechanik des Reitpferdes”

Vom Biomechanischen Standpunkt aus gesehen:

Auch hier zeigen die Worte “taktmäßig” und der Begriff “mit nach vorne gedehntem Hals” wie eng die ersten drei Ausbildungspunkte miteinander verzahnt sind.
Was jedoch immer unter den Tisch fällt ist, dass ein Pferd mit einer Blockade, sei es im 7. Halswirbel links oder rechts, sei es im passiven Stehapparat einseitig oder beidseitig, oder sonst irgendwo, niemals in der Lage sein wird, taktmäßig, oder losgelassen, oder sich tragend, oder schwingend oder geradegerichtet oder schwungvoll …..(man könnte damit ewig weitermachen) zu agieren.

Denn in allen Punkten der Ausbildungsskala findet sich entweder wörtlich oder aber zwischen den Zeilen das Wort “gleichmäßig”. Ein Pferd mit einer Blockade – egal in welchem Bereich des Körpers – ist in sich niemals gerade oder gleichmäßig. Es wird auch niemals ein korrekt ausbalanciertes Körpergefühl entwickeln oder sich selbst ausbalancieren und tragen. Man beachte hierbei den Begriff “sich selbst”.
Natürlich ist ein geübter Reiter dazu in der Lage, über ein solches Problem “hinwegzureiten”. Die Worte, “da muss er/sie dann mal durch” oder, “pack ihn mal richtig an” sind Worte, die in solchen Fällen immer wieder gern gebraucht werden. Sie haben aber in einer korrekten Reitausbildung nichts verloren.
Außerdem ist das darüber Hinwegreiten mit einer Fehlbelastung von Gelenken, Muskeln und des gesamten Bandapparates inklusive Faszien verbunden. Denn mit einer Blockade wird ein Pferd immer versuchen, der schmerzhaften Bewegung auszuweichen und dafür eine “Ersatzbewegung” zu machen, um den Hilfen und Anforderungen die seitens des Reiters gestellt werden, nachzukommen.

Es liegt in unserer Verantwortung als Reiter, im Falle von Blockaden, die immer mit Schmerzen für das Pferd verbunden sind, diese Anforderungen nicht zu stellen, sondern erst die Blockaden zu beheben. Denn hier kommt der verhaltensbiologische Teilaspekt von “Losgelassenheit” ins Spiel.

Vom verhaltensbiologischen Standpunkt aus gesehen:

Wir sollten nicht vergessen: Blockaden verursachen Schmerzen und Schmerzen beeinflussen das Verhalten und die Reaktion unseres Pferdes. Das Pferd als Fluchttier reagiert instinktiv und mit schnellen Bewegungen auf Reize wie Lärm, einen lauten Knall oder eine rasche Bewegung. Ein gesundes Pferd ohne Blockade wird schnell den Blick und die Ohren auf den auslösenden Reiz hinwenden und innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden: muss ich fliehen weil Gefahr besteht, oder ist da hinten nur ein Besen umgefallen.
Ein Pferd mit einer Blockade macht das ein- oder vielleicht auch zweimal, dann merkt es, “autsch, jedes Mal wenn ich den Hals nach rechts drehe, fährt es mir in den Hals und das Kreuz”. Beim dritten Geräusch wird es nicht mehr versuchen, den Kopf zu drehen, sondern es rennt einfach los oder springt zur Seite, weil es sicherheitshalber lieber flüchtet, als vom Löwen gefressen wird.
Und dabei bleibt es nicht. Pferde mit Blockaden werden unsicher und dadurch mindestens gefährlich und manchmal auch bösartig.

Wenn ihr also Probleme mit dem Verhalten eurer Pferde habt, denkt auch einmal an Schmerz und osteopathischen Probleme und nicht immer sofort an berühmte Menschen, die teure Kurse zur Verhaltenskorrektur eurer Pferde anbieten. Ich will damit nicht sagen, dass es immer so ist, aber es ist die Möglichkeit, die ich als erstes abklären würde.

Vielleicht noch ein weiterer verhaltensphysiologischer Aspekt:

Auch ein gesundes Pferd wird sich nur dann in einer für sich nicht physiologischen Situation loslassen oder entspannen, wenn es sich in unseren Händen vollkommen sicher fühlt.
Und seien wir einmal ganz ehrlich, geritten werden und dabei über Hindernisse zu springen und Dressuraufgaben zu vollführen und das an fremden Plätzen und vor vielen Zuschauern ??? physiologisch ist das nicht für ein Pferd.
Ich möchte hier aber nicht die Reiterei als Ganzes an den Pranger stellen. Unsere Pferde sind heutzutage nur zu diesem Zweck gezüchtet, sie verdienen sich damit sozusagen ihren Lebensunterhalt. Nichts desto trotz sollten wir ihnen ihren “Beruf” so leicht wie möglich machen.

Also wann fühlt sich ein Pferd bei uns sicher?

Wenn wir der Situation angepaßt, zum richtigen Zeitpunkt und in adäquater Intensität mit unseren Hilfen auf das Pferde einwirken.

Dazu gehört als allererstes zu wissen:

    Wann muss ich überhaupt reagieren?
    Welche Situation erfordert ein Einwirken meinerseits und welche nicht?

Das setzt voraus, dass ich mit dem physiologischen Verhalten (Fluchtverhalten, Vermeidungssverhalten, Körpersprache des Pferdes usw.) vertraut bin.
Und, dass ich mich immer wenn ich mit einem Pferd umgehe, konstant und ausschließlich mit meinem Pferd beschäftige. Nicht nur wenn ich reite, sondern auch dann wenn ich es putze, führe oder einfach nur neben ihm stehe. Ich sage das für die, die auf ihrem Pferd telefonieren oder WhatsAppen, mal eben ein Schwätzchen mit der Freundin halten, über andere lästern oder mal eben eine Zigarette rauchen.
Da kommt dann wieder das unbeliebte Wort Selbstdisziplin ins Spiel.

Dazu gehört aber ebenso ein gewisses Maß an Training und Körpergefühl reiterlicherseits. Ich muss genau einschätzen können, wie stark ist meine Hilfe, wie stark muss ich sie in diesem Moment einsetzen. Bin ich muskulär dazu in der Lage, ein plötzliche und unerwartete Bewegung auszugleichen und bin ich reaktionsfähig und beweglich genug. Ja, Reiten ist ein Sport, aber andere Sportarten sind als Ausgleich oder zur Unterstützung anzuraten, ebenso wie der regelmäßige Besuch einer Physiotherapeuten oder eines Osteopathen für den Reiter selbst.

Nur wenn ein Pferd sich in jeder Situation auf die Richtigkeit unserer Reaktion verlassen kann – das heißt ich reagiere auf jedes Problem, jeden Tag und jede Minute unverzüglich, in der Stärke angepaßt und verläßlich immer gleich – wird es sich bei uns vollkommen sicher fühlen und uns als Führungsperson anerkennen.
Jemand der unaufmerksam ist, heute so und morgen so reagiert und sich nicht auf sein Pferd konzentriert, kann soviele Lehrgänge über den sicheren Umgang mit dem Pferd, die Psychologie des Pferdes oder wie sie auch alle heißen mögen besuchen, er wird seinem Pferd niemals eine “Führungsperson” sein.

Habe Deinen Kopf beisammen, schieb Deine Sorgen und Probleme aus dem Sinn und sei bei Dir selbst. Dann bist Du auch bei deinem Pferd und dein Pferd bei Dir.

Nur das macht eine Führungsperson aus und genau das gibt deinem Pferd Sicherheit und das Gefühl sich innerlich loslassen zu können.