Posted by on 15. Dezember 2024

Immer häufiger bekomme ich zur Osteopathie Patienten überwiesen, die alle Instanzen, diagnostischen Möglichkeiten und Therapien durchlaufen haben. Unreitbar, heißt die Diagnose großer Kliniken, nach tausenden von Euro Diagnostik. Wobei sich mir die Meinung aufdrängt, unreitbar bedeutet, dass man selbst in großen Kliniken keine Ahnung hat, mit was man es gerade zu tun hat und wie man diese Patienten therapieren soll.
Weil die moderne Tiermedizin überfragt ist, wenn sie nichts auf dem Röntgenbild, Ultraschall oder der Szintigraphie sieht.
Häufig werden irgendwelche Veränderungen herangezogen, die aber hinterher bei meiner Behandlung keine Rolle gespielt haben.

Das Problem der modernen Tiermedizin.

Sie behandelt Symptome, die sie sichtbar machen kann, nicht aber die eigentlichen Erkrankungen. Sie erkennt keine Zusammenhänge mehr, sie sieht den Patienten nicht mehr als Ganzes. Was man nicht sehen kann, ist nicht da und umgekehrt. Was man sehen kann, muss Ursache sein. Dass so ein Körper komplexer ist, dass Nervenbahnen und Faszien gerade bei Bewegungsstörungen eine immense Rolle spielen, das kann nicht sein und darf nicht sein.

Deshalb möchte ich hier einen sehr interessanten Fall vorstellen.

Fallbeispiel Lissy

Lissi

Lissy kam diesen Winter im Februar zu mir zur Osteopathie. Auch als unreitbar. Die Besitzer haben mit ihren beiden Töchtern entschieden, dass sie Lissy behalten wollen, egal ob sie jemals wieder lahmheitsfrei laufen kann oder geritten werden kann. Der Rat war sie zu verkaufen oder einzuschläfern. Ich möchte hier einmal lobend erwähnen, dass die beiden Töchter der Familie maßgeblich an der Entscheidung beteiligt waren, dass die Stute in der Familie bleiben sollte, obwohl sie die Wahl hatten ein neues Pferd zu bekommen. Ganz großes Kompliment dafür, eine solche Einstellung findet man nicht mehr oft.

Anamnese

Lissy zeigte eine hochgradige Lahmheit vorne links bereits im Schritt mit deutlich verkürzter 2. Stützbeinphase. Der Galopp war steif, es erfolgte nur eine geringgradige Beugung der großen Gelenke der Vorder- und Hinter-Extremität in der Bewegung (Vorderfußwurzel-Gelenk/ Kniegelenk). Auf der rechten Hand hält das Pferd den Kopf in der Wendung stark nach außen.
Diagnostiziert wurde vom Tierarzt eine Lahmheit vorne rechts. Vorne links zeigte sich am Huf dorsal eine Hornsäule, weshalb ich erst einmal eine mittlere Palmar-Nervenanästhesie gemacht habe, um eine Auswirkung dieser Hornsäule auszuschließen. Die Leitungsanästhesie war negativ.

Lissi lahm vorher


Als kleine Anmerkung. Das ist nicht die ursprüngliche Lahmheit. Das ist die Lahmheit bereits nach ca. 1/2 Jahr Therapie und schon mit deutlicher Besserung im Vergleich zum Ausgangsstadium. Wir haben leider keine Videos mehr gefunden von Dezember davor.

Beim Reiten ist Lissy unwillig, beißt sich in die Brust. Auch beim Putzen ist sie unwillig und schnappt beim Berühren der Schulterbereiche links und rechts. Beim Führen reißt sie sich los und galoppiert davon. Und bitte, solche Verhaltensweisen nicht immer nur als Ungehorsam abtun. Wie wir während der Therapie feststellen mussten, besserte sich Lissys Verhalten während der Therapie deutlich ohne weitere erzieherische Maßnahmen.

Das Tier hatte laut Besitzer einen Schlag auf das linke Buggelenk bekommen und wies im Bereich des Buggelenks eine schmerzlose Vernarbung auf.

Viel interessanter war für mich die Vorgeschichte der Reitweise.
Das Pferd wurde von der Reitlehrerin eng ausgebunden und vorwärts gehetzt. Die Töchter wurden dazu angehalten, dieses schwere, im Barocktyp stehende Pferd massiv vorwärts zu treiben. Die Lahmheit trat auch als erstes während einer Reitstunde auf, nach einem für Reiter und Umstehende hörbaren Knacken.

Osteopathie und physikalische Therapie

Lissy wurde von mir als erstes osteotherapeutisch behandelt.
Durch die massiven Verspannungen der starken Muskulatur war es nicht möglich, C7/TH1 in den ersten Behandlungen komplett zu lösen, es waren mehrere Behandlungen notwendig. Gerade bei Pferden im Barocktyp stellen die massiven Muskelmassen ein Problem in der Osteotherapie dar, eine Behandlung gestaltet sich hier deutlich schwieriger als bei zierlicheren Pferdetypen.

Zusätzlich wurde die Narbe am Buggelenk und das Buggelenk mit Wacholder-Öl und therapeutischem Ultraschall behandelt.

Außerdem wurden die Hufe in ihrer Stellung korrigiert, denn die Stute stand sehr steil mit hohen Trachten und viel Last auf der Zehenspitze.

Es erfolgte eine Kontrolle des Sattels, der sich aber als unproblematisch erwies. Zähne waren gemacht und ohne besondere Befunde.

Reittherapie

Nach den ersten Behandlungen haben wir trotz immer noch bestehender Lahmheit mit einer Reittherapie begonnen.
Oberstes Ziel in meinen Reitstunden ist die Korrektur des Reitersitzes und seiner Balance, seiner Einwirkung mit der Hand und die Regulation eines zum Pferd und zum Ausbildungsstand des Pferdes passenden Taktes.
Ich lege dabei großen Wert darauf, dass der Reiter keine Verbindung mit dem Pferdemaul erzwingt. Derartig fehlerhaft gerittene Pferde suchen auch keine Anlehnung an die Hand, weshalb ich im Anfangsstadium einen Zügel ohne direkte Verbindung zum Maul favorisiere.
Das fördert auch das freie „sich selbst tragen“ des Pferdes und verhindert eine passive Aufrichtung an der Hand. Jedes Pferd sollte auch ein Gleichgewicht ohne die helfende Einwirkung des Reiters erlangen. Ein Gleichgewicht alleine durch die helfende Einwirkung des Reiters ist nicht erstrebenswert.

Und Osteopathie ohne eine gleichzeitige Umstellung einer fehlerhaften Reitweise ist zwar für den Therapeuten eine immer wieder interessante Einnahmequelle, im Sinne einer Genesung des Patienten aber wenig erfolgversprechend.

Bei Pferden mit Problemen im Rumpf-Trageapparat – Blockaden zwischen C7 und Th1 sind immer auch Blockaden der Rumpfträger M. serratus ventralis cervicalis und thoracalis – senkt sich der Thorax zwischen den Schulterblättern, die Vorderbeine stehen eng, das Pferd wirkt bergab, in den Gangarten zeigt sich wenig Raumgriff und in Extremfällen ein hoppelnder steifer Galopp. Eine reelle Aufrichtung ist nicht möglich.
Häufig ist die Ursache für eine derartige Blockade das Übertreiben des Taktes und eine rückwärts wirkende Hand.

Langsam einsetzende Erfolge der Osteopathie und der osteopathisch richtigen Reitweise

Hier sprechen Bilder vielleicht besser als tausend Worte.
Und bitte, keine Kommentare, über Zügelkontakt, den wollen wir nämlich momentan noch nicht. Und natürlich ist hier Luft nach oben, aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass die Lahmheit fast völlig verschwunden ist.
Und das haben die beiden Reiterinnen durch viel Geduld, Balance und eigenen Fortschritte wunderbar hinbekommen.

Lissi nach 10 Monaten Therapie

Vielleicht doch ein paar Worte. Im Vergleich zum ersten Video trägt das Pferd den Thorax deutlich besser. Sie beginnt langsam nach vorne Kontakt zu suchen, der Hals wird viel ruhiger getragen. Die Lahmheit war zu Beginn der Therapie auf der rechten Hand deutlicher zu sehen, gegen Ende eher auf der linken Hand deutlicher. Ich habe in beiden Fällen die schlechteren Seiten im Video gezeigt.

Ich hoffe das derartige Therapieerfolge auch Tierärzten in den Hochschulen und großen Kliniken die Wirksamkeit der Osteotherapie vor Augen führen und das derartig lebensentscheidende Diagnosen wie Unreitbarkeit in Zukunft vielleicht erst einmal mit gut ausgebildeten Osteotherapeuten abgesprochen werden. Im Sinne der betroffenen Tiere.